Und schließlich noch ein Sonderfall, der nicht zur EU gehört: Georgien. Dieses kleine Kaukasusland taucht oft in Listen mit „digitalen Nomaden“ und Niedrigsteuergebieten auf – und das aus gutem Grund. Georgien bietet einige der günstigsten Steuersysteme der Welt für Einzelunternehmer, kombiniert mit Lebenshaltungskosten, die zu den niedrigsten in Europa gehören (wenn wir es geografisch/politisch zu Europa zählen, was viele für Expats tun).
Steuersystem:
Georgiens Kronjuwel für Freiberufler ist der Status als „Kleinunternehmer“. Wenn Sie sich als Einzelunternehmer registrieren und Ihr Umsatz unter einem bestimmten Schwellenwert liegt (kürzlich auf 500.000 Georgische Lari pro Jahr, etwa 160.000 €, angehoben), haben Sie Anspruch auf eine Steuer von 1 % auf Ihren Bruttoumsatz. Ja, nur 1 % auf den Umsatz – effektiv vielleicht 1–2 % des Gewinns in vielen Fällen. In unserem Szenario mit 60.000 € Umsatz und 40.000 € Gewinn würden Sie jährlich 600 € Steuern zahlen – fast nichts. Das ist kein Trick, sondern ein offizielles Steuersystem, um Unternehmer anzulocken. Selbst wenn Sie nicht als „Kleinunternehmer“ gelten, beträgt die Einkommensteuer in Georgien pauschal 20 %, was immer noch angemessen ist. Fast alle Freiberufler entscheiden sich jedoch für die 1-%-Regelung (genannt Mikro-/Kleinunternehmerstatus). Es gibt auch eine Kategorie für Kleinstunternehmen (für sehr kleine Betriebe), die bis zu einem niedrigeren Schwellenwert steuerfrei sein können. Die 1-%-Regelung für Kleinunternehmen deckt jedoch die meisten Bedürfnisse bis zu einem Umsatz von 500.000 ₾ ab, was sehr großzügig ist.
Und es kommt noch besser: Georgien erhebt keine obligatorischen Sozialversicherungsbeiträge für Selbstständige. Es gibt ein 2019 eingeführtes Rentensystem, das jedoch für Selbstständige und Ausländer freiwillig* ist. Wenn Sie unter 40 und offiziell angestellt sind, werden Sie automatisch zu einem Beitrag von 2 % verpflichtet (mit 2 % Arbeitgeberanteil und 2 % staatlichem Zuschuss). Als ausländischer Freiberufler können Sie sich jedoch einfach dagegen entscheiden (oder sich freiwillig mit 4 % Ihres Einkommens anmelden, wenn Sie lokale Rentenansprüche beziehen möchten). Auch Krankenversicherungsbeiträge sind nicht staatlich vorgeschrieben. Georgien hat ein allgemeines Basisgesundheitsprogramm, das durch allgemeine Steuern finanziert wird, aber es ist sehr begrenzt und nur für Bürger unter einem bestimmten Einkommen verfügbar. Als Ausländer wird von Ihnen erwartet, dass Sie eine private Krankenversicherung abschließen, die leicht erhältlich und äußerst erschwinglich ist. Lokale Krankenversicherungen für Expats können für einen umfassenden Schutz etwa 800–900 ₾ pro Jahr kosten – das sind ungefähr 300 $ (280 €) pro Jahr für eine solide Versicherung, die wichtige medizinische Bedürfnisse abdeckt. Selbst Basisversicherungen können so günstig wie 500 ₾/Jahr (≈170 €) sein. Viele Expats zahlen Routinebehandlungen aus eigener Tasche, da sie günstig sind (z. B. ein englischsprachiger Hausarztbesuch für 20 $, eine Zahnreinigung für 15 $ usw.) und schließen möglicherweise eine Notfallversicherung ab. Ihre „Gesundheitssteuer“ könnte also nur etwa 300–500 € pro Jahr für eine private Krankenversicherung betragen – weit weniger als die Schweizer Pflichtbeiträge (die durchschnittlich bei etwa 378 CHF pro Monat liegen). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unser Freelancer mit einem Gewinn von 40.000 € in Georgien etwa 600 € Einkommenssteuer + vielleicht 300 € für die Krankenversicherung = 900 € zahlen würde. Runden wir das Ganze auf 1.500 € (4 % effektiv) auf, um alle sonstigen Kosten einzubeziehen. Das ist erstaunlich wenig. Deshalb ist Georgien zu einem Magneten für Unternehmer aus Ländern mit höheren Steuern geworden.
Lebensqualität:
Hier liegen die Kompromisse. Georgien ist ein Entwicklungsland (ca. 3,7 Millionen Einwohner) an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien. Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen kann man hier nicht auf westeuropäischem Niveau erwarten. Viele Expats empfinden die Lebensqualität jedoch als sehr hoch. Tiflis, die Hauptstadt, ist eine pulsierende Stadt mit einer florierenden Hipster- und Kunstszene, vielen Cafés (super WLAN), Co-Working-Spaces und einem günstigen, entspannten Lebensstil. Der Lebenshaltungskostenindex liegt bei ca. 35 – damit ist Tiflis wohl die günstigste Stadt auf dieser Liste. Die Mieten in Tiflis steigen zwar, aber eine schöne Einzimmerwohnung kostet immer noch etwa 300 €. Lebensmittel, Essen gehen, Transport – alles sehr günstig (eine U-Bahn-Fahrt 0,20 $, ein ordentliches Essen 5 $). Für einen Schweizer sind die täglichen Kosten wie Kleingeld. Georgiens HDI liegt bei etwa 0,81 – etwas niedriger als in EU-Staaten, aber in der Kategorie „hoch“, was auf eine gute Bildung und eine hohe Lebenserwartung im Verhältnis zum Einkommensniveau hindeutet. Der Glückswert liegt bei etwa 5,4 und damit etwas unter dem bulgarischen, was möglicherweise auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten einiger Einheimischer hindeutet. Als Expat könnten Sie eine höhere Zufriedenheit verspüren, da Ihr Auslandseinkommen hier weit reicht. Die Kriminalität ist relativ niedrig; in Tiflis fühlt man sich sicher, und die Gastfreundschaft gegenüber Gästen („Supra“-Festmahle und Toasts) ist legendär.
Die Qualität der Infrastruktur kann jedoch schwanken: Der Verkehr ist chaotisch, Bürgersteige können uneben sein, und der Umgang mit Bürokratie oder Bankgeschäften kann Ihre Geduld auf die Probe stellen (obwohl Georgien eigentlich recht wirtschaftsfreundlich ist und viele Dienstleistungen wie Bankgeschäfte und Steuererklärungen digitalisiert sind). Die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert sich – es gibt einige Krankenhäuser nach internationalem Standard in Tiflis und Batumi, aber bei sehr schweren Erkrankungen fliegen manche Expats lieber in die Türkei oder nach Westeuropa. Was die Umwelt betrifft, hat Tiflis ein Problem mit der Luftverschmutzung (durch den Verkehr) und die Sommer sind sehr heiß. Die Natur des Landes ist atemberaubend – von den Bergdörfern im Kaukasus über die Strände am Schwarzen Meer bis hin zum Weinanbaugebiet (Georgien ist die Wiege des Weinbaus). Wenn Sie Abenteuer lieben und auch etwas Härte nicht scheuen, kann Georgien unglaublich lohnend sein.
Gemeinschaft und Sprache:
Ein großes Plus ist, dass Georgien Schweizer/EU-Bürgern eine visumfreie Einreise von bis zu einem Jahr ermöglicht – praktisch ein De-facto-Visum für digitale Nomaden ohne Papierkram. Viele Ausländer kommen einfach, leben dort und wenn sie länger bleiben möchten, machen sie einen kurzen Grenzbesuch, um den 1-Jahres-Timer zurückzusetzen. Die Expat-/Digital-Nomad-Szene in Tiflis ist stark gewachsen, sodass Sie viele Treffen und Gleichgesinnte finden. Englisch ist unter jüngeren Georgiern und in touristisch geprägten Orten weit verbreitet, obwohl Russisch für die Einheimischen immer noch eine gängige Zweitsprache ist. Die georgische Sprache selbst ist sehr schwierig (und hat ihre eigene, einzigartige Schrift), aber das Erlernen einiger Sätze ist willkommen. Highspeed-Internet ist günstig und weit verbreitet.
Zusammenfassung:
Georgien bietet extrem niedrige Steuern und Kosten – Sie behalten praktisch Ihr gesamtes Einkommen – im Austausch für die Anpassung an eine andere Kultur und ein sich entwickelndes Umfeld. Viele Schweizer Freiberufler mögen dies als erfrischende Abwechslung empfinden (das Land hat eine reiche Geschichte, herzliche Menschen und haben wir schon die 1%-Steuer erwähnt?). Aber es liegt definitiv weiter weg – kein EU-Mitglied, strebt aber engere Beziehungen an. Für diejenigen, die bereit sind, die EU-Komfortzone zu verlassen, kann Georgien ein Paradies für Freiberufler sein, wo man mit einem Bruchteil dessen, was man in der Heimat ausgeben würde, gut leben kann. Beispielperspektive: In Tiflis könnte man problemlos von 1.000 $/Monat leben. Und wenn man 40.000 € verdient, ist man dort relativ wohlhabend. Außerdem ist das Reisen einfach – Direktflüge verbinden Tiflis mit vielen EU-Städten und den Drehkreuzen Dubai/Istanbul.
Nachdem wir nun die Top 5 besprochen haben, wollen wir sie kurz mit der Schweiz vergleichen, um die Dinge ins rechte Licht zu rücken.